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Nach der Geburt ist Claras Hand gerade einmal so groß wie die Fingerkuppe ihrer Ärztin.
Foto: DRK Kinderklinik Siegen |
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Siegen - Bei ihrer Geburt wog Clara ungefähr soviel wie drei Tafeln Schokolade. Nach rund neun Monaten in der DRK-Kinderklinik Siegen wiegt Clara fast 5 Kilo und darf nach Hause. Dieser Erfolg der Ärzte in der DRK-Kinderklinik Siegen, gibt auch betroffenen Eltern im Oberbergischen neue Hoffnung.
Nach rund drei Monaten Aufenthalt auf der Frühgeborenenintensivstation des gemeinsamen Perinatalzentrums (Level 1) der DRK-Kinderklinik Siegen und des Ev. Jung-Stilling-Krankenhauses und weiteren sechs Monaten auf der Intensivstation der DRK-Kinderklinik Siegen konnten die überglücklichen Eltern aus dem Sauerland ihre mittlerweile fast 5 kg schwere Tochter nun endlich mit nach Hause nehmen.
Clara wurde am 25. Juli 2008 aufgrund einer Schwangerschaftsvergiftung ihrer Mutter schon nach der 24. Schwangerschaftswoche geboren - viel zu früh, viel zu klein (26 cm) und viel zu leicht (330 g). „Die Ärzte haben uns frühzeitig gewarnt und uns wenig Hoffnung gemacht, dass unsere Tochter eine Chance hat, zu überleben,“ erzählt Mutter Judith, die aufgrund ihrer Risikoschwangerschaft und des schlechten Wachstums des Fötus schon vor Claras Geburt zur Betreuung zu Dr. Bernd Gerresheim in die geburtshilfliche Abteilung des Ev. Jung-Stilling-Krankenhauses und das Perinatalzentrum überwiesen worden war. Denn Frühchen mit einem so extrem geringen Geburtsgewicht überleben in den seltensten Fällen. Doch Clara zeigte sofort nach ihrer Geburt einen unglaublichen Lebenswillen: 20 Minuten lang atmete das extrem unreife Frühgeborene selbständig, stellte direkt ihre starken Stimmbänder unter Beweis und signalisierte ihren Ärzten eindeutig, vital und kräftig: „Ich will leben!“
Damit forderte das Frühchen die Ärzte gleich zum ersten Mal heraus: Selbst der kleinste Beatmungsschlauch war fast noch zu groß für sie. Aber Clara ließ keinen Zweifel an ihrer Lebensfähigkeit und zeigte bei ihrer ersten Untersuchung sogar spontan typische Neugeborenenreflexe wie Greifen und Nuckeln.
Im gemeinsamen Perinatalzentrum (Level 1) der DRK-Kinderklinik Siegen und dem Ev. Jung-Stilling-Krankenhaus blieb Clara bis Mitte Oktober 2008, bevor sie auf die Intensivstation der DRK-Kinderklinik Siegen verlegt wurde. Ihre erste Lebenswoche verlief gut, aber auch das erwartete Folgetief blieb nicht aus. Clara nahm, wie erwartet, noch an Gewicht ab - bis auf 298 Gramm. Besondere Probleme bereitete eine angeborene Darmtransportstörung, die wiederholt zu einer Infektion des gesamten kleinen Körpers führte. Ihr geringes Gewicht verhinderte die notwendige Darmoperation, die erst möglich war, als Clara „größer“ war, d.h. wenigstens 1.000 Gramm wog, und dadurch stabil genug für den Eingriff war. Dieser wurde schließlich am 18. Oktober 2008 durchgeführt - als Notoperation. Für zwei Monate bekam Clara bei diesem Eingriff einen künstlichen Darmausgang, der ermöglichte, dass sie endlich ausreichend Nahrungsmittel über die Magensonde erhalten konnte und nach der Rückverlagerung des künstlichen Ausgangs rasch an Gewicht zulegte.
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| Die glücklichen Eltern dürfen ihre kleine große Clara endlich mit nach Hause nehmen. |
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Über ihre Darmprobleme hinaus hatte Clara mit weiteren typischen Frühchenproblemen zu kämpfen: Ihre Augen mussten als Nebenwirkung der andauernden Sauerstoffzufuhr gelasert werden und auch die ohnehin sehr unreife Lunge litt unter der Dauerbeatmung, so dass sie eine so genannte „bronchopulmonale Dysplasie (BPD) mit folgendem Lungenhochdruck entwickelte. Aber Ende November 2008 konnte Clara dann endlich extubiert werden und atmet seitdem selbständig. Als letzte OP während ihres langen Krankenhausaufenthaltes wurde im April 2009 aufgrund des Lungenhochdrucks in der Universitätskinderklinik Gießen eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt. „Unsere Tochter ist dem Tod mehr als einmal von der Schippe gesprungen,“ kommentiert Judith die Entwicklungsgeschichte ihres Kindes.
Trotz dieser vielen medizinischen Schwierigkeiten und Eingriffe entwickelt sich Clara neurologisch sehr gut. Entscheidend dafür ist die Tatsache, dass das so unreife Frühchen zu keinem Zeitpunkt Hirnblutungen hatte - eine gefürchtete Komplikation bei Frühchen. Das gesunde Gehirn ermöglicht, dass die körperliche Entwicklung des Frühgeborenen nach und nach aufholt. Ihrem korrigierten Lebensalter hinkt Clara durch diesen glücklichen Umstand lediglich 1-2 Monate hinterher. „Das ist sehr gut,“ erklärt Dr. Mechthild Hubert, Oberärztin der Neonatologie, die von Dr. Pieter Plump, Hintergrundarzt im PNZ bei Claras Geburt, damals zugezogen wurde und von der ersten Stunde an für Claras Behandlung mitverantwortlich war.
Bis auf zwei Ausnahmen waren die Eltern jeden Tag bei ihrer Tochter. Rund 40.000 km sind die Sauerländer in dieser Zeit gefahren, Besuche von Familie und Freunden, ohne deren seelische und aktive Unterstützung die lange Zeit nicht zu schaffen gewesen wäre, nicht mit eingerechnet. Zehn Wochen lang war die Mutter sogar mit in der DRK-Kinderklinik Siegen aufgenommen, um jederzeit bei ihrer Tochter sein zu können. Heutzutage eine Selbstverständlichkeit, denn so konnte die Mutter so früh und so weit wie möglich in die Pflege ihrer Tochter einbezogen werden. „Was im PNZ und in der Intensivstation der DRK-Kinderklinik Siegen geleistet wurde, die Betreuung und insbesondere die Leistung der Kinderchirurgen, sind wirklich super,“ erzählt sie. „Auch wie uns Eltern in dieser Situation immer wieder geholfen wurde, war toll: Uns wurde immer wieder Mut gemacht, ohne dabei die kritische Situation zu verschleiern. Diese Ehrlichkeit haben wir besonders geschätzt.“
In der vergangenen Woche ging es für Clara dann endlich nach Hause. „Mittlerweile kann ich eigentlich alles selber,“ berichtet Judith bezüglich der Versorgung ihrer inzwischen 4.915 g schweren und 57 cm großen Tochter. Dennoch gibt die Häusliche Kinderkrankenpflege, die die Familie 16 Stunden am Tag zu Hause unterstützen wird, zusätzlich Sicherheit. Denn auf ergänzenden Sauerstoff und diverse Medikamente wird Claras Lunge noch eine ganze Weile angewiesen sein. Trotzdem besteht Hoffnung, dass Clara langfristig ohne ein Sauerstoffgerät auskommt und sich die Lungenprobleme mit der Zeit auswachsen. „Die Lunge eines Menschen entwickelt sich bis zum Schulkindalter,“ erklärt Dr. Hubert, die am Tag der Entlassung selbstverständlich vor Ort ist. Ein letzter gemeinsamer Check, die Aushändigung von Überweisungen und Papieren und nach so einer langen und turbulenten Zeit natürlich auch eine herzliche Verabschiedung stehen noch auf dem Programm. Und auch eine letzte praktische Hilfestellung für die Eltern gibt es vom Team der Intensivstation, denn ein technisches Gerät bereitete zum Abschied doch noch kleine Probleme: Der Maxicosi war bislang unbekannt und hatte noch nicht so ganz die richtige Einstellung. Nun haben die stolzen Eltern auch dieses „technische Gerät“ im Griff.
Hintergrundinformationen:
Jährlich werden bundesweit etwa 400 Frühgeborene unter 500 g geboren.
20 % der Säuglinge, die zwischen 24 und 26 Schwangerschaftswoche (SSW) geboren werden, tragen eine schwere Behinderung davon. Die Chance dieser unreifen Neugeborenen, ohne Behinderung aufzuwachsen, steigt von 25 % in der 24. SSW auf 55 % in der 25. und 26. SSW (Quelle: Neonatalstatistik Baden-Württemberg).
Die Neonatalstatistik NRW weist für das Jahr 2008 280 Geburten von Säuglingen unter 750 g auf, die vor 26 SSW geboren wurden. 43,2 % dieser Kinder versterben. (Quelle: Geschäftsstelle Qualitätssicherung NRW)
Für Westfalen-Lippe liegt diese Zahl bei 119 Säuglingen, von denen 49,6 % versterben. (Quelle: s.o.)
(red.-25. Mai 2009 21:38)
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