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Geschichten rund um den Weihnachtsschmaus (4)

Der Karpfen - uraltes Fruchtbarkeitssymbol

Oberbergischer Kreis - Wer kennt sie nicht, die Szenen in amerikanischen Filmen, wenn die ganze Familie vor Weihnachten um die Badewanne herumsteht, in der ein dicker Karpfen, Leckerbissen für den Weihnachtstisch, seine Runden dreht. Alle finden ihn niedlich und je näher der Festtag und damit auch der Todestag des Süßwasserfisches rückt, um so unbehaglicher fühlen sich die Familienmitglieder. Nach dem Motto: "Wer in unserer Wanne schwimmt, gehört zur Familie und wird nicht geschlachtet, basta", trägt man ihn schließlich ans Wasser, gibt ihm die Freiheit zurück und isst zu Weihnachten etwas anderes.

Begehrter Fisch

So zimperlich waren unsere Vorfahren nicht. Bei ihnen stand Fisch auf der Weihnachtsspeisekarte, weil die Adventsfastenzeit erst mit dem Glockenschlag um Punkt 24 Uhr am Heiligen Abend endete. Nichts sollte vom Warten auf die Geburt des Jesuskindes ablenken, daher waren Fleisch und Milchprodukte in der Zeit vorher verboten. Das Angebot der Fische in den Flüssen und Seen war ohnehin bedeutend reichhaltiger als heute. Der Karpfen steht nicht von alters her auf der Liste der Weihnachtsspeisen, schmückt sich aber mit allem, was sich in Glauben und Aberglauben auf Fisch bezieht.

In den Alpen diente die Seele des Fisches, das unversehrte Grätengestell, als Orakel: Warf man es an die Decke und es blieb kleben, kam der Fisch in hundert Jahren als goldenes Pferd wieder. Der Karpfen ist wie seine Artgenossen ein uraltes Symbol für das Wasser, für Leben, Erneuerung und Fruchtbarkeit, was wohl auch daran liegt, dass ein Karpfenweibchen über Millionen Eier verfügt.

Früher wurden mit Vorliebe Rogner gekauft. Das bedeutete Reichtum und Potenz. Der Vater bekam als ersten Happen den Karpfenkaviar mit ein wenig Zitronensaft gereicht. Wer sich die Schuppe eines Karpfens ins Portemonnaie steckt, findet bis zum nächsten Jahr die Börse niemals leer, auch das erzählt man sich. Alexandre Dumas, französischer Dichter und leidenschaftlicher Koch, schildert in seinem Küchenlexikon, wie man den modrigen Geschmack des Karpfens beseitigt, der so lange im Schlamm gelebt hat. Man flößt ihm ein Glas starken Essigs ein. Daraufhin bricht dem Fisch der Schweiß aus, und der wird beim Schuppen mit entfernt.

Heute sind solche Torturen nicht mehr nötig: Karpfen werden so ökonomisch gezüchtet, dass sie keinesfalls nach "Thon und fetter Erde" schmecken. Als die Region, die heute Deutschland ist, christlich wurde, gab es hier wohl noch keine Karpfen, aber in der Donau, in den Flussmündungen am Kaspischen und im Schwarzen Meer. Schon die Römer und Griechen sollen den zählebigen, fruchtbaren Fisch in Weihern gehalten haben, um ihre Speisekarten zu bereichern. Das Nachzeichnen seiner Silhouette galt unter den verfolgten Christen im Römischen Reich als Erkennungszeichen.

Nördlich der Alpen sollen die Mönche des Mittelalters als erste Karpfen in Teichen gezüchtet haben. Schließlich benötigten die Klöster an allen Fastentagen Fische, und zwar solche, die sich leicht aufziehen ließen und so groß waren, dass möglichst viele Brüder satt wurden. Karpfen können 40 Jahre alt werden und bis zu 30 Kilogramm wiegen. Am leckersten schmecken sie jedoch, wenn sie etwa drei Jahre alt sind und zwei Kilogramm schwer. Raues Klima mögen sie nicht, daher hat man bislang weder in Schottland noch in Russland mit der Zucht Erfolg gehabt.

Karpfen blau mit Meerrettich-Soße, auf böhmische Art oder gar mit einer Mischung aus feingewiegtem Eigelb, Zwiebeln, Gewürzgurken, Krebsfleisch, Senf, Olivenöl und Majonnaise bemoost - auch in diesem Jahr wird sicher wieder ein jeder ein Gericht nach seinem Geschmack zaubern können. Jährlich werden in Deutschlands Zuchtteichen rund 12000 Tonnen Karpfen abgefischt, weniger werden es wohl dieses Mal auch nicht sein. Noch ein Tipp: Nach dem Schlachten hält das Karpfenfleisch seine Qualität maximal 24 Stunden.

TEXT: Anke Mortsiefer


 



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